Filmkritik: Triangle of Sadness

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Filmkritik: Triangle of Sadness

In sich selbst eingekapselt
Triangle of Sadness
Der neue Film von Ruben Östlund

gesehen am 18.10.2022 im Filmforum Duisburg

Vielleicht liegt es an der unüberschaubaren Zahl von Festivals, oder auch an der allgemein tiefen Verunsicherung in Zeiten globaler und individueller Krisen, dass es ein solcher Film bis zur Palme d’Or gebracht hat. Anders lässt sich nicht erklären, was die Juroren getrieben haben mag, ausgerechnet diese Arbeit des schwedischen Regisseurs auf den Schild zu heben.

Wenn man nach den Maßstäben guter Unterhaltung urteilt, dann könnte eine solche Entscheidung noch durchgehen. Den meisten anderen Kriterien preiswürdiger Beurteilung entzieht sich dieser Film. Hannah Strong von der Filmzeitschrift Littel White Lies schreibt, Ruben Östlund erfreue sich daran, den großen politischen Themen, die er in Triangle of Sadness anspricht, Toilettenhumor gegenüberzustellen, wobei die Menge an Erbrochenem und Fäkalien in diesem Film jede tiefere Bedeutung zu unterminieren drohe. Dem kann man uneingeschränkt zustimmen.

Anfangs, wenn beim Casting junger männlicher Modells die Kamera schöne Körper noch schöner wirken lässt, oder im Verlauf des Films rollende Körper purzeln und zum Ende geschundene Körper auf Erlösung hoffen, dann legt sich unausweichlich schaler Beigeschmack auf die Zunge. Alles wirkt hier wie an die Oberfläche gespült, gestrandet,
aufgekocht. Sämtliches Personal wird vorgeführt, kein Darsteller darf sich entfalten, keine Schauspielerin ihre Qualitäten entwickeln. Das, was vermeintlich kritisiert wird, ist in der Konzeption schon zu kritisieren und zu hinterfragen. Modewelt, Kapitalismus, billiger Reichtum, Rassismus, MeToo, Genderthemen, Kolonialismus und Machtgefüge – selbst kriegerische Akte sind Begleitthemen, die, mal mehr, mal weniger deutlich Teil eines Gesamtgefüges sind, das sich nicht recht fügen mag.

Der Film ist in die drei Kapitel unterteilt: Carl und Yaya, Die Yacht und Die Insel. Diese Struktur tut dem Film gut, denn die 147 Filmminuten bedürfen dringend einer Rhythmisierung (gut und gern 10 Minuten je Teil hätten gekürzt sein dürfen).

Die Geschichte ist schnell erzählt:
Schöne junge Menschen aus der Modeszene (Teil 1) treffen auf weniger schöne, dafür um so reichere Menschen auf Kreuzfahrt (Teil 2) und stranden gemeinsam mit diesen und einem Teil des Schiffspersonals auf einsamer Insel (Teil 3).

Carl und Yaya, das bezaubernde junge Paar, sind zumindest im ersten Teil des Films Mittelpunkt des Geschehens. Sie, Influencerin und durchaus erfolgreich, Er Modell, und dabei weniger erfolgreich. Yaya genießt ihre heimliche Macht über den zwar prachtvollen und symphytischen Jungen Carl, der aber tatsächlich ein ziemlicher Spießer ist. Carl hat offensichtliche seine Rolle nicht gefunden, will emanzipierter moderner Mann sein, ist in Wahrheit aber ungemein eng – und konservativ bis auf die Knochen. Für ihn definiert sich Geschlechtergleichheit vor allem darin, dass Sie ebenso gut die Rechnung zu zahlen habe wie Er. Sie kennt ihn inzwischen gut genug, attackiert ihn mit seinen eigenen Waffen, bringt es zum Eklat im Restaurant.

Die unterschwellig mitschwingende Rollenskepsis Carls tritt auch im zweiten Teil, auf dem Luxusdampfer, zu Tage. Es geht um das Rollenverständnis und die Macht zwischen den Geschlechtern. Carl ist eifersüchtig auf den Pool Boy – er interveniert bei dessen Vorgesetzten und schämt sich anschließend dann dafür, dass diese den Pool Boy des Schiffes verweisen.
Auf dem Luxusdampfer hat der Film seine besten Sequenzen. Ein Kapitän, gespielt von Woody Harrelson, der vor sich selbst flieht und sich beim Captainsdinner mit einem russischen Oligarchen verbrüdert, um Kapitalismuskritik und sozialistischen Kalendersprüchen zu huldigen. Die übersatte Oligarchenfrau, die das Personal demütigt, indem sie dieses nötigt, zur besten Tageszeit coram publico buchstäblich „baden zu gehen“. Ein liebenswertes ältliches englisches Ehepaar, das sein Vermögen mit illegalem Waffenhandel gemacht hat. Ein einsamer dicklicher Millionär, der sich die Zuneigung junger Damen subtil erkauft. Das Ganze mündet in einer cineastischen Ekelorgie, wenn nach einer verdorbenen Fischmahlzeit die gesamte Mischpoke kotzend jeden Rest menschlicher Würde erbricht. Das Fin de Siècle steht unmittelbar bevor.

In einem terroristischen Angriff wird die Luxusjacht gesprengt. Wenige Überlebende retten sich auf eine abgelegene Insel. Hier beginnt eine etwas andere Robinsonade, denn man ist zwar nicht einsam, aber dafür aber hilflos den Unbill der Natur ausgesetzt. Allein die Toilettenfrau Abigail, gespielt von Dolly de Leon, weiß sich in dieser Extremsituation zu helfen – und sie weiß auch, dies weidlich auszunutzen. Carl wird ihr Toyboy, die anderen haben zu folgen. Die Machtverhältnisse kehren sich um – besser werden sie deshalb nicht.

Was bleibt? Trotz seiner Länge wirken die einzelnen Charaktere wenig ausbuchstabiert. Woody Harrelson kann viel mehr, darf aber nicht. Carl bleibt ein blasser Niemand. Besser weg kommt – im August diesen Jahres plötzlich verstorben – Charlib Dean Kriek als Yaya. Die beiden deutschen Schauspielrinnen Iris Berben und Sunnyi Melles lassen zwar ihr Talent durchscheinen, wirken aber zeitweise wie zwangsweise in den Film implantiert. Vermutlich musste die deutsche Filmförderung noch irgendwie gefüttert werden.

Vielleicht ist Winston, der vereinsamte Reiche, die eigentliche Figur. In ihm kumuliert all das Erschütternde, Bedauernswerte, Abstoßende wie auch Anrührende zu einer zutiefst tragisch-komischen Figur: Winston (Oliver Ford Davis) ist all das, was wir nicht sein wollen, und zugleich ist er all das, was wir sind. Seine verzweifelte Suche nach Liebe, seine Sehnsucht nach Zuneigung, seine ungezügelte Lebensgier, die dann umschlägt in Gewaltfantasien, sein Heischen nach Anerkennung, seine verzweifelter Servilität. Auf der Insel wird er erst recht ein Niemand, ein Nichts, eine völlig überflüssige Existenz im großen Ozean des Lebens, eine wahre Triangle of Sadness.

p.s.: Teile der Filmmusik erklingen hier in Zweitverwendung. In den 90er Jahren gab es einen poetischen Film über den Hofmusiker Ludwig XIV., Marin Marais, mit dem Titel: Die Siebente Saite. Daraus wurden einige Stücke zitiert, u.a. SONNERIE DE SAINTE-GENEVIÈVE DU MONT DE PARIS – unbedingt mal streamen…

Bernhard Bramlage