Bauen mit der Feder – die Architekturzeichnung

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Bauen mit der Feder – die Architekturzeichnung

Seit 500.000 Jahren nutzt der Homo Sapiens Werkzeuge. Zu dieser Zeit fehlen dauerhafte Behausungen. Die Menschen ziehen umher, folgen den Jagdtieren, erschließen Kontinente. Dieser Zeitraum erstreckt sich über nahezu 95% der gesamten Entwicklung der Menschheit. Vor etwa 10.000 Jahren, nach dem Schmelzen der Gletscher, findet der Übergang vom Pleistozän zum Holozän statt – die Jetztzeit beginnt, und damit beginnt der Mensch, sesshaft zu werden. Ackerbau und Viehzucht werden, unabhängig voneinander, in unterschiedlichsten Kulturen weltweit entwickelt. In der Alten Welt gründen die Menschen erste feste Ansiedlungen. Mit dem Beginn des Neolithikums – der Jungsteinzeit vor 7.500 – 5.000 J. – entwickelt sich eine erste Überschusswirtschaft, es nimmt eine Ausbildung von Berufsgruppen jenseits der bäuerliche Kultur ihren Anfang. In dieser Zeit entstehen erste ausgedehnte Städte, die Entwicklung der Schrift beginnt. Für uns ist dies der Beginn der „Zivilisation“ und der geschriebenen Geschichte. Die Vorgeschichte endet hier.

Hinweise auf Architekturzeichnungen finden sich schon in den frühesten Kulturen Eurasiens – für uns gesichert sind Exponate aus den mesopotamischen und asiatischen Regionen. Aus vorrömischer Zeit (6.000 – 3.300 v. Chr.) sind beispielsweise Zeichnungen aus den Höhlen Val Camonicas in der Lombardei erhalten. Zu Beginn des 3. Jahrtausends v.Chr. hatten die sumerischen Städte bereits beachtliche Ausmaße erreicht – Ur umfasste damals etwa 100 ha. Sie waren von Mauern umgeben – Heiligtümer und Palastanlagen bildeten das Zentrum. Bereits zu dieser Zeit – parallel zur Entwicklung komplexer Schriftsysteme – entwickelt sich die Architekturzeichnung. Der St. Galler Klosterplan wurde nach dem Ort benannt, für den er geschaffen wurde und in dem er seitdem auch in der Stiftsbibliothek liegt. Als Urheber des Planes gelten zwei Personen: Reginbert, Bibliothekar der Reichenau, gilt sicher als einer der Autoren der Beischriften. Ein jüngerer Schreiber, sein Schüler Walafrid Strabo, war möglicherweise der andere. Im frühen 9. Jahrhundert, in der Zeit vor 830, ist der Klosterplan entstanden. Mit seinen 52 Gebäuden besteht er aus fünf zusammengenähten Pergamentblättern. Über DNA-Analysen haben Wissenschaftler festgestellt, dass das Pergament aus der Haut von Schafen hergestellt wurde. Zusammen haben diese fünf Pergamentblätter eine Größe von 112 cm mal 77,5 cm. Der St. Galler Klosterplan ist der einzige Bauplan, der aus dem frühen Mittelalter erhalten ist. Der Bauplan des Klosters Christchurch in Canterbury, der als der nächstjüngere gilt, stammt aus dem 12. Jahrhundert.

Erste echte Architekturzeichnungen modernen Charakters entwickeln die Baumeister der gotischen Bauhütten.
„Der sogenannte Riß F ist eine von sieben erhaltenen, mittelalterlichen Architekturzeichnungen des Kölner Domes. Die auf dem Riß F dargestellte Ansicht der Westfassade hebt sich durch ihre Höhe von 4,05 Meter und die Präzision der Zeichnung von den Rissen des ausgehenden 13. Jahrhunderts ab. Der gesamte Aufriß setzt sich aus insgesamt 20 aneinandergeklebten Pergamenten zusammen. Der zwischenzeitlich verschollene Riß wurde in zwei Hälften wiederentdeckt, 1814 der Nordturm auf dem Speicher des Gasthofes ‚Zur Traube‘ in Darmstadt und 1816 der Mittelbau mit dem Südturm bei einem Antiquar in Paris. Er erlangte dann große Bedeutung bei der Domvollendung des 19. Jahrhunderts.“ -Dr. Marc Steinmann, Kunsthistoriker

Revolutionär war die (Wieder-) Entdeckung der Zentralperspektive und deren kontinuierliche geometrische Weiterentwicklung zu Zeiten der Frührenaissance und nachfolgender Jahrhunderte. Im Grunde ist das computergestützte Zeichnen heute ein Ergebnis herausragender Forschungen der Mathematiker und Architekten jener Zeit.

Vitruvs 10 Bücher zur Architektur bilden die Grundlage der modernen Architekturtheorie und Architekturdarstellung. Die Renaissancearchitekten, beispielsweise Andrea Palladio, verfassten Traktate und wissenschaftliche Arbeiten zur Architekturtheorie, zur Geometrie und Baugeschichte.

Der Grundriss ist eine abstrahierte, zeichnerisch dargestellte, zweidimensionale Abbildung einer räumlichen Gegebenheit. Es handelt sich dabei um einen horizontalen Schnitt mit Blickrichtung nach unten. Mit Blickrichtung nach oben wird der Grundriss meist Deckenspiegel oder Deckenriss genannt.

Eine Schnittzeichnung zerteilt das Objekt gedanklich an beliebiger Stelle. In der Architekturzeichnung betrachten Schnitte in der Regel wesentliche Gebäudeinhalte wie Treppen, wechselnde Raum- und Geschosshöhen, besondere Details. I. d. Regel bedarf es mehrerer Schnittebenen, vor allem in Längs- wie in Querrichtung.

Der Aufriss oder die Ansicht eines räumlichen Objektes ist eine orthogonale Zeichnung, d.h. sie bildet durch Parallelprojektion auf eine Ebene ein dreidimensionales Objekt mit i. d. Regel einer Ansichtsseite ab. Zusammen mit dem Grundriss – der das Objekt unter orthogonaler Parallelprojektion auf eine horizontal liegende Zeichenebene zeigt – wird das räumliche Objekt eindeutig beschrieben. Zum Anfertigen des Aufrisses bediente man sich eines Reißzeugs auf einem Reißboden – deshalb Riss!

Computer-aided architectural design (kurz CAAD) ist rechnergestützter Entwurf für Architekten. Schon seit den 1960er Jahren versucht man, mithilfe geeigneter Software bei der Modellierung räumlicher Gebilde Zeit einzusparen. Die Anwendung von gewöhnlichen CAD-Programmen war oft mit Schwierigkeiten verbunden, da sie nicht alle notwendigen Planungs- und Entwurfswerkzeuge besaßen, sodass sich eine eigenständige CAD-Anwendung für den Architekturbereich entwickelte.

Zwar endet hier nicht die klassische Risszeichnung – dennoch, mit der Entwicklung der digitalen Welt verändert sich natürlich auch die Arbeitswelt der Architektinnen und Architekten. Ganze Berufsgruppen verschwinden, völlig neue entstehen. Inzwischen wird von u.a. Webarchitektur gesprochen. Durch den 3D-Druck können heute relativ leicht Modelle gebaut werden – bis hin zu kompletten Gebäuden. Die klassische Architekturzeichnung gerät durch diese neuen 3D-Welten unter Druck – ob sie ganz verschwinden wird, bleibt abzuwarten.

Kleiner Einblick in die etwas andere Seite eines Architektenlebens. Drei Arbeiten zu besonderen Aufgabenstellungen meines Büros, belegt mit Entwurfs- und Ausführungszeichnungen, dazu eine Projektstudie aus 2022. -Bernhard Bramlage