September 5 – The Day Terror Went Live

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September 5 – The Day Terror Went Live

Ein deutscher Film, z.T. von Amerikanern (Sean Penn) produziert, mit einem Schweizer Regisseur (Tim Fehlbaum), gedreht in München und Umgebung, besetzt mit internationaler Schauspielerriege, Regie, Drehbuch, Produktion, Musik, Kamera und Schnitt im wesentlichen Deutsch besetzt. Kompakt, straff spannend nach vorn eilend, ohne hektisch zu wirken, untergebracht auf 90 Minuten feinstem Kinomaterial – wann hat es das in Deutschland zuletzt gegeben.

September 5 – The Day Terror Went Live ist ein halbdokumentarischer Film über das Olympia-Attentat vom 5. September 1972 in München. Nach diesem Attentat war alles anders, nach diesem Attentat hatte sich die Welt verändert. Dieser schreckliche Angriff auf die israelische Delegation im olympischen Dorf hatte ähnliche Wirkung wie 10 Jahre zuvor die Todesschüsse auf Kennedy oder knapp 30 Jahre später der Angriff auf das World-Trade- Center in New York.

Die Macher des Films wurden mit vielfachen deutschen und internationalen Fördermitteln unterstützt, dennoch war dem Regisseur und Drehbuchautor Fehlbaum schnell klar, dass am Ende für eine hochkarätige, international wirkende Produktion nur ein äußerst beschränktes Budget zur Verfügung stehen würde. Und so wurde aus einer Not eine Tugend: Statt sich in überbordenden Settings zu bewegen schuf Fehlbaum mit seinem Ko-Autor Moritz Binder ein Kammerspiel im Nachrichtenraum der ABC-Sportredaktion des amerikanischen Senders. Ausgestattet mit weitestgehend historischen Utensilien aus den Asservaten der Fernseh- und Filmgesellschaften wurde auf Grundlage der seinerzeitigen Pläne für dieses Studio eine originalgetreue Kulisse nachgebaut. Dieser Kunstgriff brachte auf schlanke Weise Notwendiges mit Neuem zusammen. Fehlbaum und allen anderen Mitwirkenden wurde sehr schnell bewusst, dass dieses Ereignis nicht nur ob seiner terroristischen Neuheit, sondern vor allem auch als Medienereignis einen Wendepunkt darstellte, da zum ersten Mal live über ein solches Ereignis berichtet wurde. Zeitweilig verfolgten 900 Millionen Menschen weltweit die Geschehnisse rund um das olympische Dorf. Letztlich ist September 5 ein im Senderaum des amerikanischen Senders ABC spielendes kleines Bühnenstück: Wenn frühmorgens um 4 Uhr der Arbeitsalltag beginnt, dann ist man als Zuschauer beinahe live dabei; wenn die Journalisten allmählich begreifen, dass irgend etwas nicht stimmt, und dass es tatsächlich Schüsse waren, die sie in der Ferne gehört haben.

Sportreporter, die eben noch Ergebnisse aus verschiedenen Sportwettbewerben kommentierten, müssen nunmehr über ein ganz anderes weltbewegendes Geschehen berichten. Schnell und entschlossen schieben sie eine der großen, schweren Studiokameras hinaus und sind so die einzigen, die Live-Bilder liefern, als das Olympiadorf von Polizei und Militär abgesperrt wird. Wir sind hautnah – eben live – dabei, als die ikonischen Bilder des Terroristen mit der schwarzen Maske auf dem Balkon entstehen.

Das filmische Ergebnis ist ein Musterbeispiel für bis zur letzten Minute spannungsgeladene Atmosphäre, obwohl doch das tragische Ende dieser Entführung bekannt ist. Beim Zusehen fiebert man mit, man wird buchstäblich in den beengten Raum des ABC-Nachrichtenraums eingesogen.

Obwohl das tragische Ende bekannt ist, bleibt die Spannung ungebrochen. Der Zuschauer fühlt sich geradezu in die Hektik eines Nachrichtenraums katapultiert und fiebert bei jeder Entscheidung mit. Hansjörg Weißbrich, verantwortlich für den Schnitt, montiert die Bilder in einer bestechend dokumentarisch wirkenden Weise. Durch den geschickten Einsatz von Originalaufnahmen aus der damaligen Zeit, die nahtlos mit den nachinszenierten Szenen verschmelzen, entsteht ein hohes Maß an Authentizität. 22 Stunden des tatsächlichen Ereignisses werden in gut 90 Minuten Hochspannung straff und gekonnt zusammengeführt. Ständig müssen Entscheidungen getroffen werden, nicht nur technischer Art.

Prägend sind vor allem die moralisch komplexen Überlegungen zwischen den Protagonisten. Einerseits sind sie Fernsehmacher durch und durch, wenn der junge stürmische Produzent Geoffrey Mason (John Magaro) im Eifer des Gefechts ein „hammermäßiges Close-up von den Terroristen“ fordert. Andererseits wissen sie sehr wohl um ihre hohe journalistische Verantwortung, denn unmittelbar folgend wird Mason vom Vorgesetzten Roone Arledge (Peter Sarsgaard) zurechtgewiesen: „Hey, Geoff! Das ist nicht Leichtathletik. Die drohen, Menschen umzubringen!“ Spätestens nachdem sich die Reporter fragen müssen, ob sie die Kameras weiterlaufen lassen, wenn eine Geisel erschossen wird, wird die moralische Dimension spürbar.

Die einzig tragende Frauenrolle in dieser von Männern geprägten Welt hat die von Leonie Benesch gespielte Übersetzerin Marianne Gebhard inne. Diese Person allerdings ist fiktiv und setzt sich womöglich aus mehreren anderen zusammen. Offen bleibt nämlich die Frage, wie eine amerikanische Fernsehtruppe seinerzeit dem deutschen Nachrichtendienst und dem bayrischen Polizeifunk ohne professionelle Übersetzter hatte folgen können. Dafür genau – und für eine deutsche Nachgeborene, die für die amerikanischen Kollegen manches zurechtrückt und einordnet – genau dafür wird diese fiktionale Figur der Marianne gebraucht.

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Was nun macht diesen Film so besonders, abgesehen von den oben genannten Eigenheiten.

Erstens: Es ist ein deutscher Film, der amerikanisch wirkt, und beides nicht ist. Deutsch ist das Personal der Produktion, amerikanisch und international ist die Darstellertruppe. Diese jedoch agiert weder holywoodlike noch deutsch-misantrop. Es gibt keine „Stars“, das Ensemble wirkt wie eine Einheit. Niemand genießt übermäßige Sympathie oder erfahrt besondere Ablehnung, alle ordnen sich ein in eine wie geölt wirkende Maschinerie von professionellem Live- Journalismus ein. Es geht zwar um moralische Fragen, der Film jedoch wirkt an keiner Stelle Moralin. Die Handlung ist immer hochspannend, der Film gönnt sich keine Pause, und er nutzt die 90 Minuten optimal. Die Geschichte hatte man problemlos auf drei Stunden ausweiten können – allein, die Qualität dieser Produktion liegt darin, auf den Punkt zu kommen.

Zweitens: Es ist Kino im besten Sinne, denn neben straffer Regie, guter Schauspielkunst und erstklassigem Schnitt wirken Ausstattung, Garderobe und Musik in diesem Ensemble wie das Tüpfelchen auf dem I. Die Handlung findet Anfang der 70er Jahre statt, da erwartet man ausladende Hemdkragen und die buntesten Krawatten. Gut, dass auch die Ausstattung keinen Klischees folgt und vielmehr eine Kulisse schafft, die eine Fraglosigkeit erzeigt: ja, genau so war es, genau so sah es damals aus, das waren die 70er.

Drittens: Drehbuch und Regie verzichten auf jedwede Klischees. Außer einigen (leicht zu überhörenden) Spitzen gegen die deutsche Bräsigkeit bleibt man bei der Sache. Keine Liebelei im Schnittraum, kein Drama bei den Meldungen von Tod und Verbrechen, hier arbeiten Profis an und in ihrem Job, nicht mehr und nicht weniger. Glaubwürdigkeit in Zeiten von Fake News, das ist das oberste Ziel dieser Produktion.

Zu guter Letzt: Entgegen sonstigen deutschen Produktionen verzichtet dieser Film auf jedwede Besserwisserei, moralische Erziehung und Weltverbesserungsambitionen. Tim Fehlbaum und sein Team haben versucht, eine neue Sicht auf das Geschehene zu entwickeln, indem sie sich beschränkt haben. Und genau darin liegt die hohe Qualität des Ergebnisses.

Gerade indem diese besondere Perspektive entwickelt wird ergeben sich ganz neue Erkenntnisse – weniger ist, wie so oft, auch in diesem Fall der Schlüssel zum Mehr.

B. Bramlage,
gesehen am 11.1.2025 im Filmforum Duisburg