Filmkritik: Green Book – eine besondere Freundschaft

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Filmkritik: Green Book – eine besondere Freundschaft

Man muss schon lange suchen, um eine durchgehend positive Kritik zu diesem Film zu finden. Nach der Oscar -Verleihung für den besten Film hagelte es Verrisse aus den Feuilletons, allen voran von Spiegel online. Auch die Berichterstattung im Vorfeld war zwiespältig und führte zur Ausklammerung des Films aus der persönlichen Interessenliste.

Allein der Hinweis aus dem Freundeskreis veranlasste, sich den Film dann doch anzusehen, überdies im englischen Original ohne Untertitelung. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Instagram und Facebook auf Englisch betreiben, mein schulenglisch ist mäßig, aber für den Film hat es dann doch gereicht; nicht, weil ich alles verstanden hätte, sondern weil man dem Film auch ohne uneingeschränktes Sprachverständnis folgen konnte, und das liegt zweifellos an den großartigen Schauspielern. Allen voran Viggo Mortensen as Tony (Vallelonga) Lip, der uns hier als latent rassistischer, verfressener und ständig rauchender, dennoch auch liebenswerter Prolet begegnet. Und neben ihm Mahershala Ali als Dr. Don Shirley, sein intellektueller Widerpart und Boss, ein kultivierter Upper-East-Starmusiker. Dr. Shirley ist eine historische Figur, berühmter Musiker der 50er und 60er, dessen Sound sich zwischen Klassik und Jazz bewegte.

Mir ist seine Musik nicht bekannt gewesen. Er war mit Duke Ellington befreundet, für den der das Divertimento for Duke by Don, ein sinfonisches Werk, verfasste. Und Tony Lip als sein zeitweiliger Fahrer und Begleiter ist ebenfalls historisch verbürgt, sein Sohn hat das Drehbuch mit verfasst.

Um es gleich vorweg zu nehmen: ja, der Film ist Mainstream, ja, er hätte viel mehr aus dem Konfliktstoff schwarz-weiß machen können, ja, kritische moderne Auseinandersetzung mit Rassismus und Unterdrückung oder auch Klassengesellschaft würde man auch anders angehen können.

Dennoch, der Film hat große Stärken, er ist kurzweilig, unterhaltsam, pointiert, witzig, einfühlsam – und kommt in den allermeisten Fällen in gutem Rhythmus und Takt daher – ganz dem Genre entsprechend. Die Story hat sich tatsächlich so oder ganz ähnlich zugetragen. Ein weißer, mäßig intelligenter und wenig gebildeter Türsteher und Gelegenheitsjobber verdingt sich bei einem schwarzem, reichen Upperclass-Musiker als Fahrer und Mann fürs Grobe.

Titelgebend ist das Negro Motorist Green Book, ein Handbuch für Schwarze in dem Amerika der 50er und 60er, seinerzeit herausgegeben von Victor Hugo Green, einem Postboten aus Harlem. Dieser REISEFÜHRER verzeichnete Lokale, Restaurants, Hotels und andere Einrichtungen vorwiegend im amerikanischen Süden, in denen Afroamerikaner in dieser Zeit einigermaßen gefahrlos unterkamen oder auch willkommen waren. Leider fehlt vielfach der historische Bezug, bis auf ganz wenige Verweise auf Orte und Ziele kommt dieses verstörende Detail afroamerikanischer Unterdrückung viel zu wenig an die Oberfläche. Davon hatte man sich in der Tat mehr gewünscht, und bis auf zwei, drei Szenen in runtergekommenen Hotels und Bars macht der Regisseur, Peter Farrelly, daraus nicht all zu viel.

Wenn man aber genauer zusieht und zuhört, dann verstecken sich hinter dem flott erzähltem Roadmovie subtile, nuancierte Feinheiten. Da ist der Clan der italienischen Großfamilie von Tony Lip; auch sie, die italienischen Amerikaner, sind, und das sogar in NYC, irgendwie nicht integriert, leben in ihren eigenen maffiösen Strukturen, klar abgegrenzt von den übrigen weißen, Protestanten, Juden oder vor allem auch den „Negern“ oder Auberginen, wie Tony gelegentlich zu sagen pflegt. Latenter Rassismus allerorten, neben ausgeprägtem Machoverhalten, klaren Mann-Frau-Rollen und ritualisiertem Katholizismus.

Aber auch der schwarze Mann ist kein Heiliger, gibt sich als intellektueller Überflieger mit übertrieben aufgesetztem Standesbewusstsein. Er lebt in einem üppig ausgestatteten Appartement über der Carnegie-Hall (in der er zu der Zeit niemals hätte auftreten dürfen), empfängt seine Gäste auf einem Thron sitzend, leistet sich einen indischen „Boy“ und ist sich zu schade, auch nur ein Gepäckstück selbst in den Kofferraum zu laden, geschweige denn die Tür des Wagens zu öffnen. Zunächst gibt er sich seinem Fahrer gegenüber denn auch überheblich und selbstgerecht, erst später bekommt seine Maske Risse, wird er offener, erlaubt sich selbst immer öfter Entgleisungen und Fehltritte.

Den Film nachzuerzählen verbietet sich an dieser Stelle, am schönsten sind jedoch die Szenen im fahrenden Auto, wenn beide sich unterhalten und ihre kulturellen und gesellschaftlichen Welten aufeinandertreffen.

Mahershala Ali hat zu Recht den Oscar für die beste Nebenrolle erhalten (warum eigentlich Nebenrolle?), seinen zweiten nach „Moonlight“. Ganz ehrlich, Viggo Mortensen hätte ihn mindestens ebenso verdient. Und Linda Cardellini als seine Ehefrau Dolores ist eine wunderbare Besetzung, dazu die mehr oder wenig bekannten weiteren Darsteller, die im Grunde alle hervorragend gecastet waren. Klasse sind die Szenen, in denen die Band spielt, und entweder hat die Animation hier Großes geleistet, oder Maherschala Ali spielt wirklich fantastisch Klavier…

Das Ende ist etwas seicht, gleichwohl, es ist ein sehenswerter Film mit viel guter Musik und einer in den Kulissen bis ins kleinste Detail gefühlvoll wiederhergestellten USA der 60er.

Bernhard Bramlage